Lebenszeichen
Es war hier lange ruhig. Inzwischen schreibe ich hier wahrscheinlich vor allem für mich: als Ventil, um Gedanken zu sortieren. Das ist okay. Wenn andere etwas daraus mitnehmen, umso besser.
Körper und Seele hängen enger zusammen, als mir lieb ist; und beides hat mich in den letzten Monaten gut beschäftigt. Am 13.03.2025 schrieb ich noch: „Tja, das war es erstmal von mir. Ich hoffe, dass ich dieses Jahr mit dem Fahrrad so richtig durchstarte und auch hier wieder aktiver werde. Gerade habe ich da wieder richtig Lust drauf.“ Naja – manchmal kommt es anders und dann auch noch, als man denkt.
Mein Herz: Untersuchung, Katheter, zwei Stents
Seit Ende 2024 ging meine Kondition spürbar runter, Treppen wurden anstrengend. Bei der jährlichen Kontrolle beim Kardiologen stand dann auch ein Herz-MRT im Raum, der Termin platzte letztenlich wegen meines Übergewichts; also Herzkatheter. Das ist ein dünner, flexibler Katheter oder anders, ein Schlauch der über Leiste oder Handgelenk eingeführt und bis zum Herzen geschoben wird. Mit Kontrastmittel werden Gefäße und Kammern auf dem Röntgenbild sichtbar. Am 22.04. bekam ich dann zwei neue Stents, danach waren erstmal zehn Tage Ruhe angesagt. Solche Momente erinnern mich an etwas, dass ich im Alltag gerne vergesse, der menschliche Körper ist ein verdammtes Wunder.
Solange alles läuft, merke ich ihn kaum, wenn etwas klemmt, dann wird klar, wie dankbar man für seine
Funktion sein darf. Und zu einem gesunden Körper gehört eben auch eine gesunde Seele.
Psychische Erkrankung: Depression, Essstörung, Esssucht (Food Addiction)
September/Oktober 2024 bis Januar 2025 war ich arbeitsunfähig: Depression. Im Oktober riet mir meine Neurologin zu einer stationären Therapie. In der LWL Klinik Dortmund gab es zwar schnell ein Erstgespräch, fachlich passte es wegen der Essstörung aber nicht. Von dort aus bekam ich Hinweise auf eine Privatklinik in Münster und die LWL-Klinik Bochum. Nach einem Anruf in Münster war klar das ich als Kassenpatient dort nicht hinkonnte. Ich fuhr dann direkt von Dortmund nach Bochum und bekam für Ende Oktober ein Erstgespräch. Dann begann das Warten, ein dreiviertel Jahr bis zur Aufnahme.
Seit dem 22.07.2025 bin ich nun in Bochum stationär und die Befürchtung ich komme nicht in meine Themen rein war unbegründet. Ich war schneller „drin“ als befürchtet, nach einer Woche saß ich mitten in meinen Themen.
Ich schleppe vieles seit Jahrzehnten mit mir herum. Vieles habe ich unbewusst verdrängt und Verdrängen heißt nicht „weg“, sondern „unten“. Dort sammelt sich das Dunkle, baut Druck auf, lange habe ich diesen Druck mit Essattacken (Binge Eating) reguliert. Die Abstände zwischen den Essattacken wurden in den letzten Jahren zwar größer, aber unterhalb meiner Wahrnehmung wuchs eine Esssucht (Food Addiction). Heute sind beide Themen da: Essstörung mit Binge Eating und Esssucht, dazu wiederkehrende Depressionen, die Angststörung ist nur noch ein Schatten, meist in depressiven Phasen. Durch den Klinikaufenthalt fiel außerdem etwas weg, das mir sehr wichtig gewesen war. Ich konnte nicht an der Fahrradsternfahrt Ruhr teilnehmen und habe leider auch keinen Ersatz gefunden, der den Zubringer nach Dortmund anleiten konnte.
Beziehungsstatus zu Körper und Seele: Es ist kompliziert.
Ein erster echter Fortschritt: Gefühl da sein lassen
Neulich, es war an einem Donnerstag, hing ich einen großen Teil des Tages in einer extremen Traurigkeit fest. Früher hätte ich diese verdrängt, kompensiert, gegessen. Diesmal nicht. Ich habe es ausgehalten, nicht alleine aber mit Unterstützung meiner Klinik Therapeutin, des Gruppentherapeuten und der Mitpatient:innen, und alles ohne Kontrollverlust. Es gab keine große Katharsis, kein Weinen, kein Spektakel. Wichtig Erkenntnis ist, ich kann fühlen. Das ist ein sehr großer Schritt für mich, und ein unbedeutender für die Menschheit. Aber das reicht mir, nicht alles auf einmal.
Ein kleiner Satz meines Gruppentherapeuten auf dem Flur hat mir an dem Tag und in diesem Moment sehr geholfen: „Gefühle kommen – aber sie gehen auch wieder.“ Klingt banal, war in dem Moment genau richtig.
Innere Stimme(n): Glaubenssätze, die nicht mehr helfen
Ich kommentiere ganz oft mein Handeln. Ob im Büro, zu Hause, beim Spielen mit Freund:innen.
Oft mit Sprüchen wie „So blöd wie ich kann doch keiner sein“ oder „Wie bescheuert bist du eigentlich, Claas?“. Anfangs ironisch, irgendwann als unbewusster Glaubenssatz.
Das Ergebnis: Ich nehme mich nicht ernst, gehe wenig wertschätzend mit mir um.
Natürlich hängt das mit Vergangenem zusammen. Erlebtes, aber auch Dinge, die ich anderen zugefügt habe, seelisch wie körperlich. Seit Jahren arbeite ich daran, toxisches Verhalten abzulegen, meist gelingt es mir sehr gut, manchmal aber rutsche ich zurück und dann dominieren Selbstzweifel und Selbstkritik.
Ich würde gern meine Grenzen klarer sehen und früher erkennen, körperlich wie seelisch. Ehrlich gesagt kann ich das im Moment nicht oder nur ganz marginal. Oft merke ich erst hinterher, dass ich längst drüber war, ob im Tempo, in der Last, in Situationen, die ich dann eigentlich nicht gut aushalten kann.
Achtsamkeit und Selbstliebe sind für mich keine Trophäen, die ich schon habe, sondern Werkzeuge, die ich mir gerade mühsam erarbeite muss. Ich übe, innezuhalten, Signale ernst zu nehmen, Pausen zuzulassen und mir mit derselben Freundlichkeit zu begegnen, die ich anderen schenke. Wenn mir das gelegentlich gelingt, und es sind noch seltene Momente, dann entsteht weniger Druck, und damit verliert der Essdruck an Kraft. Oder er kommt erst garnicht.
Genau das ist wahrscheinlich mein Weg damit mein Essverhalten stabiler werden kann. Keine Zauber und noch mit vielen Fehlversuchen aber kleine und wichtige Fortschritte.
Humor hilft – das handeln mit Rohstoffen wie bei Catan nur mit Gefühlen
In der Gruppetherapie sagte jemand: Man müsste Gefühle handeln können wie bei „Die Siedler von Catan“. Das Bild mochte ich sofort. Es kam auch sofort folgendes hoch:
„Gefühlsmarktpreise heute: Gelassenheit steigt, Freude knapp, Wut im Überfluss. 
Ich tausche 5 Wut gegen 1 Freude. Aber nur, wenn ihr mir damit keine Traurigkeit unterschiebt.“
Solche Bilder machen schwere Themen leichter zugänglich. Humor ist hierbei kein Wegsehen oder überspielen, sondern manchmal der Zugang.
Ziele, die tragen: Fahrrad, Freiheit, Freundschaften
Nach der Klinik Entlassung habe ich geplant mein E-Bike zu reparieren.
Ich möchte weiter abnehmen und wieder ohne Angst fahren, ohne die Sorge, dass das Rad unter meinem Gewicht wieder kaputt geht.
Mir fehlen die Stunden allein unterwegs, nur ich, mein E-Bike und die Natur, und der Kopf wird still, der Tag darf von mir abfallen. Meine Arbeit mag ich, ich habe tolle Kolleg:innen, einige sind sogar Freunde. Trotzdem: Was auf der Arbeit passiert, bleibt auch auf der Arbeit.
Andersherum seh ichs nicht so streng. 
Puzzleteile und Pandora – und ein Fazit
Ich könnte viel erzählen. Nicht alles liegt parat – Erinnerung ist selektiv, gerade bei alten Wunden. Aber ich komme da wieder hin. Wenn die Büchse der Pandora einmal offen ist, geht sie nicht einfach zu.
In meinem Fall ist das gut, jedes Puzzleteil, das sichtbar wird, hilft. Mein Leben mit psychischer Erkrankung, Essstörung, Binge Eating und Esssucht (Food Addiction) ist kein gerader Weg. Es gibt oft Rückschläge, es gibt Fortschritte, und es gibt Hoffnung. Ich arbeite an mir, für mich, in meinem Tempo. Das reicht mir.
Danke, dass du mitliest; wenn du Fragen oder Rückmeldungen hast, schreib mir gern eine Mail.
PS – der Kreis schließt sich
Am 13.03.2025 schrieb ich: „Tja, das war es erstmal von mir. Ich hoffe, dass ich dieses Jahr mit dem Fahrrad so richtig durchstarte und auch hier wieder aktiver werde. Gerade habe ich da wieder richtig Lust drauf.“
Jetzt, fast 6 Monate später bleibt es so, wie es oben steht, das Ziel bleibt dasselbe. Das Jahr ist zwar Fortgeschritten und die Zeit erheblich kürzer bis zum Jahreswechsel.
Weniger Zeit aber mit frischen Mut geht es weiter in RIchtung Heilung.
Nach jedem Respawn wartet ein neuer Weg – see you on the bike-side of Catan.
